In gemeinsamer Regie gelangen Zwaantje de Vries und Wolfgang A. Piontek bestechend schöne, surrealistisch geprägte Bilder. Die grotesken Stilelemente des Butoh, den Sumako Koseki choreographierte, vermitteln etwas von Kafkas alptraumhaft phantastischer Welt ... (PRINZ)

Commedia Futura erzählt Kafkas Geschichte nicht nach, sondern lässt seine Welt neu entstehen, mit den Mitteln des experimentellen Bewegungs-Theaters und des japanischen Butoh-Tanzes. Der Prozess der Verwandlung bildet das Leitmotiv der Inszenierung von Wolfgang A. Piontek und Zwaantje de Vries.

Kafka und Butoh, das sind nur scheinbar unvereinbare Welten. „ Kafka versuchte immer das Unsichtbare der menschlichen Existenz sichtbar werden zu lassen, die verdeckten, verdrängten Facetten. Er zeigt das Absurde und Gewalttätige unserer Existenz und unserer Gesellschaft. Die Mittel des Butoh-Tanzes scheinen mir geeignet, diese kafkaeske Welt zu beschreiben, weil Butoh auf seine Weise das Innere nach Außen kehrt“, sagt Sumako Kaseki, die die Butoh-Sequenzen des Stückes mit dem Ensemble erarbeitet hat.

 

Gefördert von der Stadt Hannover, dem Land Niedersachsen und von Siemens Kultur Programm.


insgesamt 42 Aufführungen zwischen dem 22. Okt 1993 und 19. Nov 1995

COMMEDIA FUTURA OnTour:
17. Nov 1994 Hildesheim Hildesheim
23. Aug 1995 Internationales Theaterfestival Waves '95- Festival Vordingborg

Ensemble


Konzept: Wolfgang A. Piontek
Inszenierung: Wolfgang A. Piontek
Choreographie: Zwaantje de Vries
Butoh: Sumako Koseki
Regieassistenz: Inka Grund
Bühne: Wolfgang A. Piontek
Kostüme: Heike Schröder
Musik: Gerd Jacob
Lichtdesign: Wolfgang Denker

Bild | 25.10.1993
Grotesk! Aus Menschen werden zappelnde Käfer
von Esthar von Krosigk

Die Zuschauer sitzen wie in einem Luftschutzbunker. Die graue Farbe blättert von den Wänden. Es wird dunkel, eine Uhr tickt laut, der Regen rauscht. Auftakt zu „Die Verwandlung" von Franz Kafka (1883-1924) in der Commedia Futura (Eisfabrik). Experimentelles Theater gemischt mit japanischem Butoh-Tanz (verzerrter Ausdruckstanz als Protestbewegung, Inszenierung: Wolfgang A. Piontek)

Die Geschichte: Ein Mann aus spießiger Mittelschicht, gedemütigt und überfordert von seiner Familie, verwandelt sich plötzlich in einen Käfer. Eine Story wie der dunkelste Alptraum, hier aufgeführt mit typischen Traumelementen: Fenster, die sich öffnen und schließen. Der Vater (muskulöser Glatzkopf: Mart Nurk) grunzt in einer undeutlichen Sprache (Mischung aus russisch und japanisch). Eine Frau balanciert einen Geigenkasten auf dem Kopf oder streut durch ein Sieb Mehl in den Raum.

Der Butohtanz gleitet gelegentlich in spastische Zuckungen ab, am Ende liegen alle Schauspieler (Camilla Eggertsen Petersen, Heike Lindenberg, Aza Thelandersson) wie zappelnde Käfer am Boden. Eine wunderbar unernste, groteske Aufführung von den sonst so schwerblütigen, düsteren Kafka-Stücken!

 

 

Hannoversches Wochenblatt | 03.11.1993
Von der Einsamkeit des Käfers
von rks

Um es kurz zu sagen, die Commedia Futura bleibt auch mit der Inszenierung von Kafkas „Verwandlung“ ihrem ureigenen Stil treu: Eine durch ihre Intensität beeindruckende Bilderflut als Mixtur aus Tanz und szenischer Darstellung, gepaart mit allerlei Licht- und Soundeffekten - der Assoziation sind keine Grenzen gesetzt.

Und doch sind diesmal auch andere Momente zu verzeichnen, erfährt die Stringenz, mit der die Commedia Futura ihr Konzept eines Tanz-Theaters umsetzt, leichte Brüche. Gerade in den Passagen, die sich eng an die Vorlage Kafkas anlehnen, tritt der über den Tanz vermittelte Bildreigen in den Hintergrund, werden Anleihen an klassisches Theater sichtbar. Ausfluss auch eines Regiekonzeptes, das auf der Verantwortlichkeit dreier Personen fußt. So kümmerte sich Wolfgang A. Piontek gemeinsam mit Zwantjee de Vries um das Schauspiel und ebenso um die Choreographie. Dritte im Bunde ist Sumako Koseki, verantwortlich für die Butoh Elemente, jenem japanischen Tanz, dem das Ensemble die Qualitäten zuschrieb, die spezifische Welt eines Kafkas im Rahmen des experimentellen Bewegungs-Theaters umsetzen zu können. Inwieweit dies gelingt, ist zunächst einmal unabhängig von der Wendung dieses Stilmittels. Denn derjenige, der erstmals mit Butoh als Ausdrucksmittel konfrontiert wird, wird kaum zwischen den Elementen des klassischen Tanz-Theaters und denjenigen des Butohs zu unterscheiden wissen.

Ob das, was die Commedia Futura an „Kafkaeskem“ schließlich aus der „Verwandlung“ herausfiltert, dem Stoff gerecht wird, muss jeder Zuschauer letztlich für sich selbst entscheiden. Was dargeboten wird, kann nur die spezifische Interpretation der Gruppe selbst sein, zu mannigfach sind die mit der Welt Kafkas verknüpften Assoziationsstränge.

Die Verwandlung: Der Handelsreisende Gregor Samsa (Mart Nurk) umringt von seiner Familie (Heike Lindenberg, Aza Thelandersson, Camilla Eggertsen). Interpretationen des Stoffes allerdings setzt das Ensemble in gewohnt gekonnter Manier um. Wiederum ist es eine Kette präzis ausgearbeiteter und mit reichlich Spannung versehener Bilder, die den Zuschauer durchgehend zu fesseln vermag. Ambivalent muss hingegen beurteilt werden, inwieweit diese Bilder dazu taugen, Kafkas Geschichte nachzuerzählen. Ohne die oben erwähnten, mehr am klassischen Theater ausgerichteten Szenen wäre Kafkas Erzählung auch für diejenigen, die sie kennen, nur schwerlich nachvollziehbar. Dem Anspruch, den Prozess der Verwandlung aller Personen des Stückes - eigentliches Kernthema Kafkas - darstellen zu wollen, kann die Commedia Futura somit allenfalls in Ansätzen gerecht werden.

 

 

 

 

Schädelspalter | 03.12.1993
Tanz der Käfer
von Rasmus Ölschläger

Mit experimentellem Bewegungstheater und japanischem Butoh-Tanz hat sich die Commedia Futura an Franz Kafkas Erzählung “Die Verwandlung” heran getastet. Herausgekommen ist unter der Regie von Wolfgang A. Piontek und Zwaantje de Vries eine eigenwillige Collage aus tänzerischen, akustischen und bildhaften Assoziationen.

Am Anfang steht eine Anhäufung kafkasker Metaphern: Die unaufhörlich tickende Uhr, ewiger Regen und die Zahl 3 - drei Wände, drei Fenster, drei Tore. Hinter den Wänden lösen sich Käfer aus ihrer Insektenstarre. Ein eckiger Mann kommt nach vorn und setzt sich an einen eckigen Tisch: Gregor Samsa macht seine eckige Schreibarbeit und versucht, mit eckigen Bewegungen die Welt in den Griff zu kriegen.

“Die Verwandlung” des Gregor Samsa in einen Käfer beginnt bei der Commedia Futura also nicht, wie bei Kafka, morgens im Bett, eigentlich gibt es gar keine Verwandlung, denn die ganze Familie Samsa hat von Anfang an etwas Insektenhaftes an sich. Der cholerische Vater überrollt wie ein dicker Mistkäfer seine Artgenossen, die hysterische Mutter verfällt wie eine im Glas gefangene Wespe in panische Beriebsamkeit. Die Schwester, zunächst ein süßer Käfer, verbreitet bald mit ihren Tanzschleifen den gefährlichen Charme einer Gottesanbeterin - kurz vor der Verspeisung ihres Männchens. Und Gregor selbst ist schon in seiner ersten Version (Mart Nurk) als gemeiner Handlungsreisender ein Insekt.

Der zweite Gregor, der Käfer am Morgen, wird von einer Frau verkörpert. Heike Lindenberg kehrt butohmäßig ihr lnnerstes nach Außen und zeigt den weichen Kern unter der harten Schale: einmal räkelt sie sich wohlig in einem warmen Lichtkegel, befreit vom Druck der Familie und des Lebens überhaupt. Meistens aber ist Heike-Gregor das Opfer der Heiligen Dreieinigkeit Vater- Mutter-Schwester. Die Verwandlung ist kein Prozess, sondern ein Zustand; der Käfer Gregor ist der einzige Mensch unter lauter Monstern. So spannend die Idee der Commedia Futura, eine neue Kafka-Welt zu schaffen, klingt: die Umsetzung ist, auch tänzerisch, nicht eigenständig und überzeugend genug. Die einzelnen Szenen sind sehr eng an Textzitate aus Franz Kafkas “Die Verwandlung” angelehnt.

So versucht der Zuschauer sehr lange, die literarische Vorlage zu entdecken. Dass er den falschen Spuren folgt, erkennt er leider erst zum Schluss. Doch dann ist alles fast schon vorbei.

 

 

 

 

 

 

Hannoversche Allgemeine Zeitung | 28.10.1993
Gruppenbild mit Käfer
von Heike Postma

 Commedia Futura spielt Franz Kafkas „Die Verwandlung“ in der Eisfabrik

Kunstwerke in ein anderes Medium zu übertragen ist und bleibt problematisch. Besonders problematisch ist es bei Kafka und seiner zugeschärften, hoch verdichteten Prosa, in der die Realität wie ein Alptraum aus dem Kopf des „Helden“ wirkt und doch Wirklichkeit ist: ausweglose Wirklichkeit. Trotzdem oder gerade deshalb haben die Theaterleute immer wieder dieses Unmögliche begehrt, Kafkas Prosa in szenische Bilder umzusetzen, so, wie es jetzt die „Commedia Futura“ in der Eisfabrik mit Kafkas „Verwandlung“ unternommen hat, mit dieser ungeheuerlichen Erzählung, in der ein junger Handelsvertreter namens Gregor Samsa am Morgen erwacht und begreifen muss, dass er kein Mensch mehr ist, sondern ein unförmiger Mistkäfer.

Der junge Mann ist der alleinverantwortliche Ernährer seiner Familie gewesen. Er hatte den entwürdigenden Job auf sich genommen, um „die Schuld der Eltern“ abzutragen, und nun ist er wirklich das geworden, was er in den Augen seiner Umwelt offenbar schon immer war: ein Ungeziefer, ekelhaft. Klar, dass sich die Exegeten aller Provenienzen auf diese, schon 1915 publizierte Geschichte werfen mussten. Die „Commedia Futura“ wollte freilich, so steht es im Begleitblatt, dem Ganzen keine neuerliche Pointe hinzufügen, den Text auch nicht „nacherzählen“, sondern auf der Bühne „neu entstehen” lassen, also auf ihre spezifische Weise sinnfällig machen - mit der Synthese aus optischen, akustischen, musikalischen, tänzerischen, spielerischen und (sparsam eingesetzten) sprachlichen Mitteln. Ergänzt diesmal um die Methode des japanischen Butoh-Tanzes.

Die Bühne als sinnlich erfahrbarer Baum. Das beginnt so: Es ist dunkel, es regnet unaufhörlich, und die Uhr tickt rasend. Im Hintergrund kriechen Käfer. Ein Mann mit Aktentasche kommt herein, um am trapezförmigen Bürotisch zu arbeiten (eine Szene, wie sie Franz Kafka für seinen „Prozess“ gezeichnet hat). Der Mann schreibt pedantisch, dann hantiert er mit der Laubsäge an einem Bild, das er einrahmt. Zwaantje de Vries und Wolfgang A.Piontek, die Verantwortlichen für Konzept und Inszenierung, haben genau hingelesen, in der Biographie des Versicherungsbeamten Dr. jur. Franz K. und auch in dessen „Verwandlung“: Gregor Samsa hat ein Bild aus einer Zeitschrift ausgeschnitten und es eingerahmt.

Er besitzt auch eine Laubsäge und der Regen war für Kafka geradezu eine existentielle Metapher. Dann schläft der Mann ein. Am nächsten Morgen wird er den Wecker überhören und auf das Mahnen der Mutter, das Drängen des Vaters, die freundlichen Aufrufe der Schwester nicht wie gewünscht reagieren können und über die zweischneidigen Forderungen des umgehend erschienenen Prokuristen Scham empfinden: Er ist ein Käfer geworden, der die menschliche Sprache und damit das Verständigungsinstrument verloren hat. ln neun weiteren Bildern werden dann exemplarische Situationen aus Samsas Ungezieferleben vorgeführt: Wie die Schwester ihn mit vermeintlich käfergerechter Nahrung versorgt (recht herzlich, aber letztlich doch verständnislos); wie die Familie ihr eigenes Leben führt (und Gregor muss draußen bleiben); wie sich bei einem Kassensturz ergibt, dass man auch ohne den Sohn sein Auskommen hat; wie Gregors Zimmer ausgeräumt wird (auch der kleine Schreibtisch, an dem er schon als Junge gearbeitet hat); wie der Vater, der jetzt auch wieder arbeiten kann (als uniformierter Bankportier), den Sohn mit faulen Äpfeln bewirft. Am Ende schwebt ein gerahmtes Familien-Gemälde vom Himmel: Gruppenbild mit Käfer.

Das bringt stellenweise impressive Szenen; auch weniger gelungene, weil der Darsteller des Vaters (Mart Nurk) nur arg grobe karikaturistische Mittel einzusetzen hat. Überhaupt driftet die ganze, bedrohlich böse Prokuristen-Szene ins Grotesk-Komische, Parodistische ab. Eindrucksvoll dagegen ist die zwiespaltige Reaktion der Schwester. (Das Programmheft nennt die Namen der Darstellerinnen nur kollektiv: Camilla Eggertsen-Petersen, Heike Lindenberg, Aza Thelandersson.)

Und dennoch, so stark einzelne Passagen wirken, bleiben halt Reste. Zum einen dieser: Der szenische Gregor Samsa bleibt, mag der von innen nach außen gekehrte Butoh-Tanz auch intensivste Ausdrucksmöglichkeiten öffnen, sichtbar ein Mensch. Die Radikalität des Veıwandlungsereignisses ist nicht wirklich zu erfassen. Zum anderen bleibt die szenische Umsetzung an den Text gebunden. Letztlich zu begreifen nur, wenn man die entsprechenden Erzählpassagen zu Hilfe nimmt

Die „Commedia Futura“ hat Beachtliches gewagt. Aber wer dieser „Verwandlung“ wirklich nahekommen will, muss Kafka lesen.

 

 

 

 

Neue Presse | 25.10.1993
viermal Kafkas Käfer, und eine Zeitung geht in Flammen auf
von Jüv

Commedia Futura hatte in der Eisfabrik Premiere mit „Verwandlung“

Das Zeitalter des Ungeziefers ist in der Eisfabrik angebrochen: Commedia Futura bat zur Premiere der „Verwandlung“ nach Motiven von Franz Kafka. Ein knüppelvolles Haus erlebte die Geschichte des Gregor Samsa, der eines Morgens als Insekt aufwacht, und seiner herzlosen Umwelt.

Die Commedia bietet hierzu, wie üblich, eine Mixtur aus Theater und Tanz. Gleich drei Regisseure haben sich um die verschiedenen Bereiche gekümmert, Wolfgang A. Piontek um das Schauspiel, Zwaantje de Vries um die Choreographie, Sumako Koseki um die ausführlichen Butoh-Elemente. Eine feste Rollenaufteilung gibt es nicht. Vier Darsteller aus vier europäischen Ländern verkörpern wechselnde Charaktere. Als Gregor ist die meiste Zeit Heike Lindenberg zugange - erfreulicherweise, da sie die Verlorenheit dieser Figur am eindrucksvollsten aufzeigt und mit den grotesken Bewegungsmustern des Butoh sehr selbstverständlich umgeht (obwohl gerade sie damit vorher keinerlei Erfahrung hatte).

Neben ihr überzeugte bei der Premiere vor allem Mart Nurk, der aus seinen Parts sowohl humoristische als auch bitterböse Züge zu destillieren wusste. Die Commedia-„Verwandlung" ist eine mehr oder minder frei assoziierte und assoziierbare Szenenfolge, die auf Atmosphärisches abzielt. Streckenweise gelingt das, nicht zuletzt durch die hervorragende Lichtarbeit von Wolfgang Denker, sehr gut, berührt das Herz und bringt die Nerven zum Vibrieren.

Manche Motive allerdings (die Äpfel, der Bilderrahmen, der Geigenkasten) dürften all die vor Rätsel stellen, die Kafkas Erzählung nicht kennen. Dass Gregors Vater zuweilen in einer brennenden Zeitung liest, hat schließlich mit Kafka nichts mehr zu tun und führt zu der Frage, warum eigentlich in jeder Inszenierung dieses Theaters irgend etwas in Flammen aufzugehen hat.

Ohnehin muss die Commedia in ihrer überschwenglichen Bilderlust aufpassen, dass es ihr nicht so ergeht wie Wim Wenders. Über das Lob, er mache „schöne Bilder", gestand der Regisseur unlängst, könne er sich kaum mehr freuen - „Für mich heißt das: ,Sie hatten wohl nichts zu erzählen". Möge die Commedia vorher die Kurve kriegen und weiterhin so ausführlichen Schlussapplaus ernten wie diesmal.

 

 

 

 

Plakat:
Die Verwandlung
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