Aber das Stück ist nicht nur eine interessante und recht musikalische Geschichtsdoppelstunde, sondern es beleuchtet auf ... anrührende Weise eine zweifelhafte Künstlerexistenz ... sehenswert sind die knappen zwei Stunden in der Commedia Futura allemal. Nicht zuletzt wegen der durchweg guten Ensembleleistung und der vielen traurig schönen Bilder. (Hannoversche Allgemeine Zeitung)

Christoph Linder als Chet Baker liefert die wohl beste schauspielerische Leistung der hiesigen Theatersaison. (Stadtmagazin.de)

Die kürzeste Formel für sein Leben hat Chet Baker selbst gefunden: “Vom Jazz-Musiker, der am steilsten aufstieg, bin ich abgestürzt zum weltweit bekanntesten Junkie.” Dieses Resümee diktierte der neben Miles Davis bedeutendste Trompeter des 20. Jahrhunderts den Journalisten in die Federn, nachdem er in Italien eine Haftstrafe wegen Drogenhandels und -missbrauchs abgebüßt hatte. Man könnte ausführlicher werden und vom Aufstieg Bakers zur Leitfigur des “West Coast Cool“ in den 50er Jahren erzählen, vom Frauenliebling, seinen drei Ehen und zahllosen Geliebten, von einem, der aus der amerikanerischen Provinz kam und sich anders als durch seine Musik nur schwer artikulieren konnte. Und man muss von einer beispiellosen Drogenkarriere erzählen, die dennoch nicht untypisch ist für einen Jazzer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Er habe es für die Musik getan, sagt Baker in Gabriela Jaskullas Stück, einem grotesk-surrealen Szenario, einer Höllenfahrt mit tödlichem Ausgang, das Wolfgang A. Piontek mit allen Mitteln multimedialen Theaters in Szene setzt.

 

Gefördert von der Stadt Hannover, dem Land Niedersachsen und der Niedersächsischen Lottostiftung.


Premiere am 24. Mai 2003,
insgesamt 29 Aufführungen zwischen dem 10. Mai 2003 und 16. Okt 2004

COMMEDIA FUTURA OnTour:
13. Okt 2004 LOFT Leipzig
15. Okt 2004 LOFT Leipzig
16. Okt 2004 LOFT Leipzig

Ensemble


Stück: Gabriela Jaskulla
Inszenierung: Wolfgang A. Piontek
Regieassistenz: Greta Pruisken
Dramaturgie: Peter Piontek
Bühne: Holger Dierks
Kostüme: Maren Lepping
Musik: Dirk Bahl
Videos: Volker Schreiner
Lichtdesign: Wolfgang Denker

Hannoversche Allgemeine Zeitung | 26.05.2003
Genie und Wahnsinn
von Ernst Corinth

Commedia Futura in Hannover auf den Spuren des Jazztrompeter Chet Baker 

Ob es Selbstmord, Mord oder ein (Drogen-)Unfall war, das ist bis heute nicht geklärt. Chet Baker starb jedenfalls am 13. Mai 1988 in Amsterdam nach einem Sturz aus einem Hotelzimmer. Und genau so ungewöhnlich wie dieser Tod war sein Leben: Bereits im Alter von 23 Jahren war der 1929 geborene ein Star der amerikanischen Jazzmusík, mit 26 ein internationaler Superstar, mit 31 saß er wegen Drogenbesitzes in Italien im Gefängnis, lebte später zwei Jahre von der Sozialhilfe, bis ihm 1973 sein Comeback gelang. Und in all den Jahren waren Drogen, vor allem Heroin, seine stetigen Begleiter.

Trotz dieser extremen Aufs und Abs gilt Chet Baker heute noch als einer der bedeutendsten Jazztrompeter weißer Hautfarbe, an den nun die hannoversche Cornmedia Futura mit ihrem neuen Stück „My funny Valentine - Chet Baker/Song“ erinnert. In 13 Szenen, die die NDR-Redakteurin Gabriela Jaskulla verfasst hat, wird sein rastloses Leben chronologisch nacherzählt. Was sinnvoll ist, weil gerade Jüngere wohl kaum noch etwas über diese Jazz-Legende wissen. Und weil Bakers Lebensweg eben genug spannenden Stoff für einen unterhaltsamen Theaterabend liefert. Aber das Stück ist nicht nur eine interessante und recht musikalische Geschichtsdoppelstunde, sondern es beleuchtet auf bisweilen sogar anrührende Weise eine verzweifelte Künstlerexistenz. Einen Menschen, der sich offenbar fast schon zwanghaft ständig, mit anderen Jazz-Ikonen wie Miles Davis vergleicht, der zwischen Selbstzweifel und Größenwahn hin- und her-pendelt und der den dabei entstehenden seelischen Druck nur noch durch Drogen einigermaßen in den Griff bekommt.

Auch die privaten Seiten Bakers, den Christoph Linder in der Eisfabrik exzellent verkörpert, werden kurz angesprochen, vor allem sein Schwanken zwischen Zärtlichkeit, Sehnsucht nach Liebe und plötzlichen brutalen Gewaltausbrüchen. Zwar wird in dieser Inszenierung kein genaues Psychogramm eines Menschen erstellt, das wäre vielleicht auch zu vermessen, aber sehenswert sind die knapp zwei Stunden in der Commedia Futura allemal, nicht zuletzt wegen der durchweg guten Ensembleleistung und der vielen traurig-schönen Bilder, die Regisseur Wolfgang A. Piontek zusammen mit Volker Schreiner (Video) sowie Holger Dierks (Bühne) entworfen hat.

 

Leipziger Volkszeitung | 15.10.2004
Chet Baker rudert mit den Toten über das Meer - „My Funny Valentine“ heute und morgen im Lofft
von Sabine Gühne

Chet Baker, das Schwein. Chet Baker, der Junkie. Chet Baker, das Opfer seiner Umwelt? Der Vater säuft, die Mutter will, dass ihr Engelchen singt. Der Vater schenkt ihm eine Trompete. Mit Gabriela Jaskullas „My Funny Valentine. Chet Baker/Song“ gastiert die Commedia Futura aus Hannover noch heute und morgen im Lofft. Am Mittwoch hatte das Stück über die Trompeten-Jazzlegende (1929 bis 1988) Leipzig-Premiere. Wolfgang A. Pionteks Inszenierung arbeitet mit Video- und Großbild, Tonüberlagerungen, Gesprächsfetzen, Musik und vor allem mit wunderbaren Ideen. Chet Bakers Leben wird in Szenen skizziert. Als Erinnerung, als Gedanke, als Traum. Hier läuft die Zeit manchmal langsamer, ist es manchmal unendlich still. Im Traum wiederholt sich manches. „Ich habe doch alles für die Musik getan“, sagt Baker. Zwischen den USA und Europa wandert er, trifft auf den Baritonsaxo-phonisten Gerald Joseph Mulligan, der ihn in sein berühmtes Piano-loses Quartett holt, kommt mit Drogen in Berührung, wird verhaftet und verurteilt, zusammengeschlagen und geliebt. „Ich nehme mich und meine Arbeit tödlich ernst.“ Geht mit dem 24-jährigen Pianisten Dick Twardzik nach Paris, wo Twardzik an einer Überdosis Heroin stirbt. Needle Brothers. „Du bist schuld du bist schuld du bist schuld“, redet es auf ihn ein. Ist mit Frauen zusammen, wird gewalttätig. „Was bist du nur für ein Mensch“, wirft man ihm entgegen. Im Traum ist Raum für schwebende Klänge, für Einschnitte, phantastische Bilder, plötzliche Wandlungen, auch für skurrilkomische Momente. Da tanzt Balou der Bär mit der Trompete in der Hand. Da erscheint Miles Davis, bewegen sich Handelnde synchron und in Zeitlupe. Da wird durch Verzerrung die Wirkung verstärkt, der Wannsee mit Hemingway verwechselt, und der alte Mann rudert über das Meer. „Wo immer die Toten auch sind, sie sind, sonst nichts.“ Dieses Theater begeistert, fesselt, prägt sich ein, ist vielseitig, spannend und großartig gespielt. Fünf Darsteller tragen mehr als ein Dutzend Rollen, allen voran Christoph Linder als Chet Baker. Der kommt gebrechlich, stolz, high und down, kraftlos und Furcht erregend. Am Anfang des Stückes ist er schon tot. „Sie sagen, ich bin gefallen, aber ich fliege über ihnen.“   

Neue Presse | 27.05.2003
Ein paar Schritte auf den Spuren der jazzlegende Chet Baker
von lyn

Er galt als James Dean des Cool Jazz, war der Träumer auf der Trompete, deren geschmeidige, lyrisch-melancholische Linien ihm das Renommee des „einzigen bedeutenden Jazztrompeters weißer Hautfarbe" einbrachten: Chet Baker (1929 bis 1988) läutete mit „My funny Valentine" eine musikalische Ära ein. Nach diesem Song heißt auch die Produktion der Commedia Futura in der Reihe „Geister des 20. Jahrhunderts", doch lange dauerts, bis er in der Eisfabrik erklingt. Lange, bis Bakers mondsüchtigen Klängen ein Moment eingeräumt wird. Denn in dem Stück von Gabriele Jaskulla, Redakteurin beim NDR in Hannover, steht die Schattenseite des Jazzers im Vordergrund: das haltlose Liebesleben und die Heroinsucht, die schon zu seinen Lebzeiten den Ruf des großen Musikers überlagerte. Eher wie einen abgewrackten Späthippie, nicht als einen coolen Jazzer porträtiert Hauptdarsteller Christoph Linder den Musiker von der ersten Szene an; schon sein eitler Schnurrbart, den Baker nie trug, spricht Bände.

Drumherum gibt das Stationendrama der Commedia Futura jede Menge Anlass, ihr multimediales Handwerkszeug auszureizen. Projiziertes Wasser wellt sich im Hintergrund und kräuselt sich punktgenau zu Ringen, als Chet und sein „deutsches Frollein” Steinchen hineinschmeißen. Gestylte Tanzschritte zu zweit, choreografierte Schlägereien, aufgemotzte Fix- und Knast-Szenen: Da wird eigens ein Käfig auf die Bühne gebaut. Schluchzen und Stöhnen beherrscht die akustische Szenerie, dazu Musik, die nur aus anderen Epochen als dem Cool Jazz stammt, und als heiteres Bonbon tanzt ein Bärenkostüm über die Bühne: Balou, belehrt das Programmheft.

Auch sonst hilft der gedruckte Lebenslauf der Erkenntnis weiter als das Stück. Das sieht sich ganz dramatisch an, hat einige spannende, auch ein, zwei poetische Momente. Doch dem Prinzen des Cool Jazz und der Epoche, in der er aufstieg und stolperte, kommt es kein Stück näher.

 

stadtmagazine | 10.06.2003
My funny valentine – Chet Baker / Song
von Anne-Kathrin Herhold

Theaterkritik: My funny Valentine - Chet Baker Song

Die Geschichte:

Im Rahmen der Portraitreihe „Geister des 20. Jahrhunderts“ wird als fünftes Projekt die Lebensgeschichte von Chet Baker inszeniert. Regisseur und Commedia-Futura-Chef Wolfgang A. Piontek stellt hierbei nicht die Musik, sondern den Menschen selbst in den Vordergrund. Die Stationen seines Lebens von der Kindheit bis zu seinem tragischen Tod werden aufgezeigt. Chronologisch verfolgt Piontek Chet Bakers Leben: Daheim in Oklahoma, erste Erfolge, Vaterfreuden, Inhaftierung und Drogenexzesse, die letztendlich zum Tod führen. Die Inszenierung eines traurigen Lebens.

Die Schauspieler:

Christoph Lindner als Chet Baker liefert die wohl beste schauspielerische Leistung der diesigen Theatersaison ab. Eine derartige Ausdrucksstärke, die Gänsehaut verursacht, Verzweiflung zum Greifen nah in den Raum projiziert, die Zuschauer mitreisst und die Luft anhalten lässt. Bedrückender könnte die Stimmung teilweise nicht sein. Eine hervorragende Leistung, die hoffentlich noch mit viel Applaus gewürdigt wird.

Die Inszenierung:

Nichts für schwache Gemüter- soviel ist sicher. Die zahlreichen Drogenexzesse werden schockierend echt und quälend ausführlich in Szene gesetzt. Mit einfachen Mitteln und vor spärlicher Kulisse stehen die Menschen im Vordergrund. Allen voran natürlich Chet Baker, dessen traurige Geschichte auch nach der Inszenierung noch wirkt. Sex and Crime beherrschen den Handlungsstrang. Diese lnszenierung lebt von den Schauspielern und den starken Charakteren. Die bedrückende Stimmung hält auch nach der Aufführung an - ungewohnt still und zaghaft löst sich die leider sehr kleine Zuschauergruppe auf und schlendert nachdenklich nach Hause.

Fazit:

Kein Stück für einen lockeren, spaßigen Theaterbesuch. Aber schon wegen Christoph Lindner wird sich ein Besuch in der Commedia Futura sicherlich lohnen. Zudem ein Geheimtipp für alle Chet Baker-Fans.

 

 

 

Plakat:
My funny valentine – Chet Baker / Song
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