Nacht des Orakels
„Wenn das Unfertige zum Programm wird, scheint alles möglich ... Commedia Futura folgt Auster … mit großer Lust durch die halsbrecherisch aufgetürmten Metaebenen ... schillernde Bruchstücke mit großer narrativer Anziehungskraft“, schrieb Thomas Kaestle nach der Premiere von „Nacht des Orakels“ in der HAZ und lobte besonders die Leistungen des „interdisziplinären Teams“.
Wie sicher ist der Boden, auf dem wir stehen? In welcher Welt leben wir und wenn ja, was passiert in den anderen? Kennen wir einander? Könnte der Mensch, mit dem wir leben, auch ein ganz anderer sein?
Paul Austers Roman „Oracle Night“ dient COMMEDIA FUTURA als Ausgangspunkt und Inspirationsqelle eines Projekts, in dem es um die Vermischung von Realität und Illusion, den Einbruch des Traumes und der Fiktion in die Wirklichkeit geht und um die Unsicherheit dessen, was uns umgibt.
Wie Auster in seinem Roman Geschichten in einander schachtelt, wechselt das Ensemble um Wolfgang A. Piontek die Spielebenen und -räume. Da wird gespielt, geprobt, seltsame Dinge ereignen sich – auf der Bühne, im Film - das Rätselhafte bricht in die intimste Umgebung des Protagonisten ein. Nichts bleibt, wie es ist.
Gefördert von der Landeshauptstadt Hannover, der Region Hannover und der S-Hannover-Stiftung
Premiere am 17. Sep 2016,
insgesamt 14 Aufführungen zwischen dem 17. Sep 2016 und 29. Okt 2016
Ensemble
Es spielen: Luzia Schelling, Lena Zepter, Malik Davis, Oliver Dressel, Mathis Dieckmann, Wolfgang A. Piontek
Regie: Wolfgang A. Piontek; Regieassistenz: Michaela Höll, Mathis Dieckmann
Dramaturgie: Peter Piontek
Bühne: Florian Lechner; Videos: Volker Schreiner; Musik: Christof Littmann
Lichtdesign: Wolfgang Denker; Kostüme: Sabine Mech
Stadtkind | 20.01.2021
Die Nacht des Orakels
von Anja Dolatta
Seit ihrer Gründung im Schwarzen Saal der Eisfabrik im Jahr 1988 bewegt sich die Commedia Futura stetig an den Schlüsselstellen des experimentellen Theaters und setzt dabei immer wieder Schwerpunkte in den Bereichen Bewegungskunst und Tanz. ,,Bereits Anfang der 9Oer haben wir den Blick zum internationalen Tanz gerichtet, z.B. haben wir japanische Butoh-Tänzerinnnen nach Hannover eingeladen“, erklärt Wolfgang. ,,Dann haben wir aber auch gemerkt: dieser Raum ist etwas für Kafka, für Beckett. 1999 konnten wir die Eisfabrik kaufen und seitdem können wir unsere Projekte mit Unterstützung von Seiten der Stadt viel großformatiger aufziehen. Die Kontakte wurden internationaler, die Räume für professionelles Spiel nachgerüstet." Dazu gehört auch eine moderne Multimediaausstattung, deren Einsatz sich als wiederkehrende Qualität durch alle Produktionen zieht. Ein besonderes Augenmerk gilt überdies der Nachwuchsforderung in der bildenden und darstellenden Kunst. 2006 etwa wechselte Felix Landerer vom Opernhaus an die Eisfabrik und in die Selbstständigkeit, vier Jahre später beschenkte er das hannoversche Publikum mit einer erfolgreichen freien Tanzkompanie. Für das nächste Jahr ist schon die nächste Zusammenarbeit mit dem kanadischen Tänzer und Choreografen Ben Landsberg geplant, der auch bei Landerer&Company tanzt.
Hallo Wochenende | 09.07.2016
Ich habe einen Traum vom Unbekannten
Hannoversche Allgemeine Zeitung | 19.09.2016
Taumelnde Realitäten
von Thomas Kaestle
Die Commedia Futura spielt Paul Auster
Wenn das Unfertige zum Programm wird, scheint alles möglich. Insofern ist der Roman "Nacht des Orakels" von Paul Auster ein dankbarer Stoff für Theatermacher, die das Fragment lieben. Der Autor etabliert mehrere Handlungen, deren Figuren sich spiegeln und durchdringen. Letztlich dreht sich alles ums Erzählen und Erfinden selbst. Und um den verzweifelten Versuch, das eigene Leben als lineare Erzählung zu konstruieren. Das freie Theater Commedia Futura folgt Auster in der Eisfabrik mit großer Lust durch die halsbrecherisch aufgetürmten Metaebenen. So wird alles zur Verhandlungsmasse, auch die Erwartungen an die Inszenierung selbst. "Die wollen ein Dreistundenstück", stöhnt irgendwann einer der Schauspieler, der gerade einen Schauspieler spielt, "du kennst doch Auster."
Wolfgang Pionteks Inszenierung dauert nur halb so lang. Sie dekonstruiert die Vorlage dabei noch weiter, einzelne Motive und Figuren werden herausgegriffen und für die Bühne neu gedacht. Dabei riskiert Piontek ein zerfasern des Nachvollziehbaren. Die Gratwanderung zwischen einer bunten Wunderwelt assoziativer Bilder und einem Angebot zur Identifikation entlang eines Netzwerks roter Fäden gelingt nicht immer. Wo sie aber die Balance hält, erzeugt sie schillernde Bruchstücke mit großer narrativer Anziehungskraft.
Die Commedia Futura hat für "Nacht des Orakels" ein interdisziplinäres Team gebildet, das den vielfältigen Angeboten des Stoffes gerecht zu werden vermag: Luzia Schelling und Oliver Dressel stehen nicht nur mit ihrer Arbeit im Theater Aspik für die überregionale Strahlkraft freien Theaters. Malik Davis verbindet auf der Bühne souverän Schauspiel, Tanz und Artistik. Christof Littmanns atmosphärische Sounds und Volker Schreiners überwältigende Videoprojektionen lassen beeindruckende Räume entstehen. Und die Filmeinspielungen, die Gregory Crewdsons düstere fotografische Visionen zum Leben erwecken, würden auch in einem Ausstellungsraum fesseln. Die Inszenierung nutzt den gesamten Raum und zeigt, wofür sich dessen aufwendige Sanierung gelohnt hat.
Gerade in den Projektionen kommt die Inszenierung zu wohltuender Ruhe. Denn manchmal gibt sie in den zappeligen Spielszenen zu viel Gas, lässt wenig Raum für Entwicklung der Figuren. Das mag schlüssig erscheinen angesichts der taumelnden Realitäten, die Auster beschreibt. Auf der Bühne raubt es jedoch Dynamik und Proportion. Das Publikum folgt dennoch begeistert auch in den letzten Metawinkel und dankt mit minutenlangem Applaus.