Pasolini Performance - 30 Jahre Schweigen
Am 2. November 2005 ist es genau dreißig Jahre her, dass der italienische Regisseur und Schriftsteller Pier Paolo Pasolini auf gewaltsame Art ums Leben gekommen ist. Die Wellen, die der kurz zuvor wieder aufgenommene Mordprozess schlug, sind nur ein oberflächliches Indiz für die Brisanz von Pasolinis inhaltlichen, politischen und ästhetischen Positionen.
Die Commedia Futura lud aus diesem Anlass zu einer Gedenkveranstaltung in die Eisfabrik, eine musikalische Begegnung zwischen der hannoverschen Geigerin Mirjam Klein und einem Sattelschlepper der Firma Iveco im Hof der Eisfabrik, entworfen vom Komponisten Alex Goretzki: „Fein aufgenommene Geigentöne bilden den Klangteppich des Soundtracks, die Geigerin Mirjam Klein setzt live dazu Akzente einer mehrteiligen Kadenz, Erinnerungen an den Gesang der Vögel, Motorbrummen, das Stöhnen der Bremsanlage, schlagende Türen, Abfahrt durch den Hof“, schrieb Hannoversche Allgemeine Zeitung dazu. Der Chor des Commedia-Ensembles skandierte dazu Pasolinis Anklage gegen die Hintermänner der Bombenanschläge von Bologna und Brescia, ein Beispiel für die politische Einmischung des Regisseurs und Autors, kompromißlos, schonungs- und rücksichtslos auch gegen sich selbst.
Premiere am 02. Nov 2005,
insgesamt 1 Aufführungen zwischen dem 02. Nov 2005 und 02. Nov 2005
Ensemble
Konzept: Alex Goretzki
Musik: Alex Goretzki
Geige: Miriam Klein
Lichtdesign: Wolfgang Denker
Soundzuspielung: Peter Piontek
Sattelschlepper: Lars Brandes
Hildesheimer Allgemeine Zeitung | 18.01.2022
Pasolini Performance - 30 Jahre Schweigen
von mot
Pornograph am Kreuze - "Commedia Futura" provoziert mit "Pasolini" im Stadttheater
Als Pier Paolo Pasolini schon tot ist, sich als brutal ermordete Leiche auf dem Boden ausstreckt, und man einen weißen Kreidestrich um ihn herumzieht, beginnt im theo des Stadttheaters erst das eigentliche Drama. Ein laut klirrender Schwertkampf wird nun aufgeführt, und zwei recht eigenartige Gestalten· - ein heller und ein dunkler Engel - verstreuen ihre Federn und ringen mit allen Mitteln um die Überreste des legendären italienischen Lyrikers, Romanciers und Filmemachers.
Stationen seines Lebens werden nun zur Beweisführung herangezogen, und alles dreht sich um die Frage, ob der störrische Marxist ein an die Sünde Verlorener oder ein Märtyrer der wahren Menschlichkeit gewesen ist. ,,Er hat sich zu den Aussätzigen gelegt", sagt der helle Engel, und der dunkle antwortet ihm sofort: ,,Er ist ihnen an den Arsch gegangen -f ür eine Pizza!" Die "Commedia Futura" aus Hannover, die jetzt in Hildesheim gastierte, widmet sich mit Feuereifer dieser Zerrissenheit, die Pasolinis Leben und Werk von Anfang an auszeichnet. Mit nicht immer ganz stubenreinen Mitteln begibt sich das Ensemble dabei ausgerechnet in der Biographie eines Mannes, der immer wieder wegen Pornographie, Verunglimpfung der Religion und Verführung minderjähriger Jungen verklagt worden ist, auf die Suche nach dem heiligen Leib".
Michael Gabel kommt dabei in der Rolle des Pasolini die Aufgabe zu, ziemlich viel Rabatz zu schlagen, mit Schaum vorm Mund seine Wut und seine Verzweiflung herauszubrüllen und überhaupt den unverstandenen Künstler als ewigen Schmerzensmann zu stilisieren. Das unbarmherzig polemisierende Pathos seiner Tiraden über das Fernsehen, den Konsum und die bestehenden Herrschaftsverhältnisse vermittelt dabei aber weniger analytisches Verständnis gesellschaftlicher Vorgänge als ein monumental aufgeblähtes Selbstmitleid. Damit tut Regisseur Wolfgang A. Piontek sowohl dem Kritiker als auch dem Künstler Pasolini Unrecht, den er zwar korrekt zitiert, aber unangemessen hysterisch in Szene setzt. Aber immerhin - auch in der konfus überfrachteten Inszenierung rettet sich der eigentliche Sprengstoff des berüchtigten Avantgardisten. Schon sein faschistischer Vater, der mit einem Dichter als Sohn durchaus zufrieden gewesen wäre, hat sich lautstark beklagt, dass der junge Paolo nicht die Schönheiten Italiens besingt, sondern nur "die Samenergüsse seiner Sportsfreunde!". Dabei ist es von seinen frühen Sozialdramen bis zur rauschhaften " Trilogie des Lebens" in den 70er Jahren stets die frei gelebte Sexualität, die vorurteilsfreie Entfesselung des Eros, die der Verkommenheit der Gesellschaft eine unkorrumpierbare Wahrhaftigkeit entgegensetzt.
Die "Commedia Futura huldigt dem nicht unbedingt auf angemesser Weise, indem sie einen kurzen Schnipsel Hardcore-Porno an die Wände projiziert. Aber als sie, in Erinnerung an Pasolinis Verfilmung des Mätthäus-Evangeliums, einen jungen Mann bis auf die Unterhose auszieht, ihn lasziv gegen das große Holzkreuz lehnt und die zugleich christliche wie erotische Ikone sanft mit hinreißender Michael-Nyman-Musik und warmer Beleuchtung ästhetisiert, schafft sie einen Moment, der dem großen Provokateur wirklich angemessen ist. Die sexuelle Blasphemie wühlt noch immer auf, sie verstört und versöhnt. Pasolini hat die demonstrative Nacktheit des Mannes am Kreuz nicht als Affront gemeint, sondern als spirituellen Beweis für die Heiligkeit des Körpers. Also hat der helle Engel Recht: Der Pornograph ist im Herzen religiös. Die "Commedia Futura" zeigt, kurz und schön und mittendrin im lauten Geschrei, warum.